politics | Guttenberg [2] – Schön gefärbt und hoch gestapelt

Karl-Theodor von und zu Guttenberg avancierte binnen kürzester Zeit zum Heilsbringer der Union. Auf der Suche nach einem jung-dynamischen Shooting Star, einem Glamour kompatiblen Gegenentwurf zur ewig einschläfernden Politprominenz stieg er bald wie Phönix aus der Asche zum beliebtesten Politiker der Republik empor. Getragen von der Sehnsucht nach einem eleganten Mann von Welt, nach einem alles managenden Superminister, einem schnittigen Kanzlerkandidat in Spe,  dem bayerischen Obama, der nicht nur Hochdeutsch und Englisch beherrscht, sondern Hofetikette mit Lässigkeit kombiniert, war Karl-Theodors kometenhafte Blitzkarriere fast vorprogrammiert. Und in der Tat kommt dieser Aufstieg nicht von ungefähr, steht er doch in einer gewissen politischen Tradition und wurde von langer Hand vorbereitet. Wer aber ist diese beispielhafte Lichtgestalt, die nicht nur in Parteikreisen, sondern auch an Stammtischen liebevoll ‚KT‘ genannt wird, und die – wie keine zweite – zur Legendenbildung taugt, wirklich? Woher kommt sie und wofür steht sie letztlich?
Adel verpflichtet…*
* Klassiker der schwarzen Filmkomödie, der von der chamäleonhaften Verwandlungskunst des Hauptdarstellers (…) ebenso lebt wie von der skurrilen Logik des Drehbuchs. Lexikon ‚Filme im Fernsehen‘ (Wikipedia).
Die Wurzeln der unbeugsamen ‚Wettertanne‚ befinden sich am äußeren Südwestrand des beschaulichen Frankewaldes. Dort, in der Nähe der Großen Kreisstadt Kulmbach und weit entfernt vom politischen Berlin, liegt nicht nur ein verschlafenes Nest gleichen Namens, dort befindet sich außerdem das Schloss eines uralten Adelsgeschlechts, das Region und Politik seit rund 700 Jahren mitprägt. Karl-Theodor ist einer der stolzen Nachfahren dieser für die Geschicke des Landes einflussreichen Guttenberg-Dynastie, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht. Obwohl er als Person und seine Leistung natürlich nicht direkt mit der seiner Urahnen, adeligen Großgrundbesitzern, verglichen werden kann, schließlich stellen sich jeder Generation neue Herausforderungen, ist er sich seiner politischen Verantwortung und der großen Fußstapfen, in die er hineinzuwachsen gewillt ist, bereits früh bewusst. So betont er 1999 in gewohnt schwadronierendem Tonfall, sich zu Höherem berufen zu fühlen, und begründet dies mit der ihn stark prägenden Familientradition, die bis zum heutigen Tag keine nennenswerten Brüche kennt:
„Sie finden im Grunde begründet in diesem Haus eine Familie, die eine langfristige Tradition (…) in sich vereint, (…) die in diesen Mauern gewachsen ist, die aber sich sehr dadurch auszeichnet, daß sie die Mauern auch verläßt (…), und dieser bin ich mittlerweile auch wieder verwachsen als in Anführungszeichen jüngster Vertreter der Familie und eingebunden und eingebettet (…), aber mit der Verantwortung und Verpflichtung, herauszutreten und das, was lange Zeit für richtig erachtet wurde (…) fortzuführen. (…) Und so versuche ich mich nun auch politisch zu engagieren und aus diesem Haus möglicherweise etwas, was der Großvater schon gemacht hat, das herauszutragen, daß man Verantwortung übernimmt, daß man in einer Gesellschaft, wo gerade meine Generation kaum noch bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, Standpunkte bezieht, um mit einer klaren, einer ganz klaren Linie nach außen zu treten.“ (Video-Interview: ‚Der Frankenwald im Jahreskreis‘, Youtube [gelöscht]; Quelle)
Aus Tradition zur politischen Verantwortung verpflichtet, ist KT schon früh gewillt, als Leuchtturm der Orientierung zu dienen. Dazu berufen, klare Linien zu zeichnen und Standpunkte zu formulieren, gilt er vielen als Freigeist mit Hang zur harmonischen Ordnung, die ggf. durch tragfähige „Leitplanken“ zu begrenzen ist, um „Verantwortungsübernahme und das Handeln“ in „Kongruenz“ zu bringen. Welch geometrische Metaphorik, ja politischer Ästhetik, die da – schon in seinen frühen Reden – mitschwingt. Dabei versucht KT natürlich immerauthentisch zu sein und fügt hinzu:Mein leicht knorriger Charakter wird sich daher auch durch das neue Amt nicht verändern. Zugegebenermaßen, ändern würde er an sich gern die Tatsache, dass „ich manchmal noch immer zu verschwurbelten Sätzen und einer gestelzten Ausdrucksweise neige.“ (Quelle) Doch nicht nur seine Rhetorik rankt verwachsen in den blauweißen Himmel, auch sein Stamm ist tief verwurzelt. Der politische und wirtschaftliche Einfluß der uralten Familiendynastie, des „christsozialen“ Hochadels, der Wettertanne zu Guttenberg, reicht über Generationen zurück – bis in die Zeiten blutiger Bauernaufstände:
Als letzte, die zu d. Hocharistokraten zu rechnen sind, obwohl sie nur einen Freiherrentitel führen, sind die Angehörigen einer Sippe zu nennen, die den Fürsten zu Waldburg-Zeil in vieler Hinsicht ähnlich sind: Auch sie sind von uraltem Adel, hatten – wie eine Sammlung in Oberndorf Kreis Höchstadt, die freiherrliche ‘Bauernschinderei, Volksausbeutung und unmenschliche Ausnutzung v. Leibeigenschaft u. Frondiensten’ sowie die dabei benutzten Folterwerkzeuge betreffend, noch heute beweist – erheblichen Nutzen aus den Folgen des Bauernkrieges, waren schon vor dem ersten Weltkrieg Goldmark-Multimillionäre und sind heute der DM-Milliardärsklasse zuzurechnen, nahmen im Königreich Bayern einen erblichen Sitz in der Kammer der Reichsräte ein und haben seitdem an politischem Einfluß noch erheblich gewonnen. Ihr Sippenvertreter im Reichsrat von 1913 war Dr. Maximilian Freiherr von und zu Guttenberg.“ (Bernt Engelmann: Das Reich zerfiel, die Reichen blieben [Deutschlands Geld- u. Machtelite]. Verlag d. Nation, Berlin, 1974 . Hgs. BRD: Hoffmann u. Campe Verlag, S. 72 // Dt. TB Verlag (dtv), München. Quelle [1] [2] [3])
Im Kampf um den Machterhalt der Elite hält das Schlachtfeld der Geschichte auch in Folge Heroisches parat. Als Baron Guttenberg-Oberhaus 1914 als 24-jähriger Leutnant  an der Westfront fiel, erbte sein jüngerer Bruder Enoch, bis 1918 im Reichsrat, das Familienvermögen. 1940 auf Schloss Guttenberg verstorben, ging der Besitz schließlich auf seinen Sohn, Baron KT [sen.] über, der sich 43 mit Prinzessin und Herzogin von Arenberg vermählte. 46 Mitbegründer der CSU wirkt dieser zunächst im Landtag, bald jedoch (bis zu seinem Tod 72) auch als Abgeordneter im Bundestag , als außenpolitischer Sprecher und als parlamentarischer Staatssekretär im Bundeskanzleramt (von 67-69) unter Kurt G. Kiesinger. Als scharfer Debattenredner mit konservativ-reaktionärer Haltung – v.a. gegenüber Kommunisten und der Ostpolitik der Regierung Brandts – bekannt, bekleidete KT [jun.]s Großvater bis zum Ende der Großen Koalition eine außenpolitische Schlüsselposition. KT [sen.]s Kinder vermählten sich wiederum geschickt mit anderen Großgrund besitzenden Hochadeligen, wie z.B. dem wirtschaftlich wie politisch potenten Hause von Stauffenberg. In diesem Kontext wird KT [jun.] natürlich nicht müde, die engen Beziehungen seines 1945 von der Gestapo gefolterten und ermordeten Urgroßonkel Karl Ludwig zum Widerstand um Graf Stauffenberg hervorzuheben.
Aus dem Schatten ins Licht
Die jüngste Familiengeschichte verlief nicht weniger interessant. So ehelichte KT [sen.] einziger Sohn Enoch 1971 die geb. Gräfin und Edle Herrin Christine von und zu Eltz aus einflussreichem Hause, die ihm zwei Kinder schenkte. Während die Mutter die Familie früh verließ und 1984 Adolf von Ribbentrop heiratete, wuchsen die beiden Söhne KT [jun.] (71) und Philipp Franz (73) bei ihrem Vater auf. Dieser Bruch scheint schmerzhaft, doch wohl besser so, ist das Kapitel um Adolfs Vater Joachim v. Ribbentrop (1893), NSDAP-Mitglied, außenpolitischer Berater Hitlers und später Reichsaußenminister, mit den Traditionen der Guttenbergs doch nur schwer vereinbar. Schließlich endete es auch mit der Todesstrafe 1946 durch das Nürnberger Tribunal. Christine Henkell von Ribbentrop schenkte ihren Söhnen zwei Halbbrüder (Rudolf & Friedrich), während Vater Enoch Söhne, Schloss und Ländereien blieb. Obwohl dieser als Dirigent u. Festspielleiter nicht den direkten Weg in die Politik suchte, ist er CSU-Mitglied und als solches in seiner Heimat bis heute als engagierter Umweltschützer und Atomkraftgegner bekannt – ein durchweg positives Image der hoch angesehenen Familie zu Guttenberg.
Und auch KT [jun.] absolviert seine Pflichtübungen mit höchster Bravour. Das Abitur, der 12-monatige Grundwehrdienst im traditionsbewussten Gebirgsjägerbataillon und der Lehrgang zum Unteroffizier bringen ihn auf Kurs. Privat glänzt er mit vorbildlicher Lebensführung, heiratet die äußerst telegene Stephanie Freifrau von Bismarck-Schönhausen, eine Ur-Ur-Enkelin des Reichskanzlers Otto v. Bismarck und sonnt sich mit ihr gern im Blitzlichtgewitter. Das Privileg, ein Glückskind der Glamourwelt zu sein, teilt er u. a. mit seinem  Onkel vierten Grades, dem Oscarpreisträger Florian Henckel v. Donnersmarck.
Elitenkonituität – Reichtum, Macht und Großgrundminister
Für die Beurteilung einer Person bzw. ihrer Leistung sind Verwandtschaftsverhältnisse zwar Schall und Rauch, dennoch hebt KT [jun.] die Familientradition gerne hervor, schließlich umweht ihn dadurch ein Jahrhunderte alter Hauch kultivierter Weltläufigkeit, gelassener Höflichkeit, erfahrener Bildung. Neben einem Studium mit überdurchschnittlichen Leistungen ist schließlich gerade die Herkunft entscheidend für einen Platz in der Chefetage von Politik und Wirtschaft. Gleich und gleich gesellt sich dabei liebend gern. Die Elite des Landes bleibt unter sich, ihr Mikromilieu lässt Volksnähe höchstens medial inszeniert zu.  Von frühster Kindheit an geprägt von einem exklusiven Kosmos, der mit der Lebenswirklichkeit Normalsterblicher wenig zu tun hat, heiraten Sprösslinge reicher Großbürgerfamilien gewöhnlich nur in ähnlich betuchte Häuser ein.

Bei d. Familie zu Guttenberg, die zu den 300 reichsten des Landes gehört, ist das schön zu erkennen. Die Ehefrauen der letzten drei männlichen Generationen [Prinzessin von Arenberg, Gräfin von und zu Eltz, Gräfin von Bismarck-Schönhausen] stammen bzw. stammten aus den reichsten Großgrundbesitzerfamilien Deutschlands mit einem Besitz von mind. mehreren tausend Hektar. Das ist eine eigene Welt, die dort kultiviert wird.“  (Quelle)
Diese eigene Welt folgt den universellen Regeln des dynastischen Prinzips. Ob libyscher Clan, russisches Zarenerbe oder amerikanische Familiendynastie – materielle und politische Macht sind nicht nur eng miteinander verzahnt, sie sind an Verwandtschaftsverhältnisse geknüpft. Während die Politik der USA von Bushs, Clintons, Kennedys und Schwarzeneggers gestaltet wird, pflegt man auch hierzulande die familiäre Tradition. So sind neben KT, dem Minister in spe, auch Familien- Arbeitsministerin Ursula von d. Leyen, Tochter des langjährigen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, und der Chef des Bundeskanzleramts Innen- Verteidigungsminister Thomas de Maizière, Sohn des Ex-Bundeswehr-Generalinspekteurs Ulrich, Nachfahren hochvermögender, politisch einflussreicher Dynastien – denn Adel verpflichtet. Auch andere Kernministerien werden gerne mit Politikern aus „dem Großbürgertum oder dem Bürgertum“ besetzt, wie z. B. mit Schily, Eichel, Steinbrück, Däubler-Gmelin, Zypries oder Clement. Die wichtigsten Minister/Innen „stammen also aus dem Bevölkerungssegment, das von ihren politischen Beschlüssen am meisten profitierte.“ (Quelle)
Obwohl sich eine oberfränkische Wettertanne nur sehr schwer entwurzeln lässt, zog es KT [jun.] nun also hinaus in die richtige Welt. Stilvoll, anständig und souverän, mit einer attraktiven Frau an seiner Seite, schien er in der Tat wie geschaffen. Sein Verantwortungsbewusstsein, gepaart mit Weitblick, unermesslichem Reichtum und glänzenden Verbindungen von hier bis jenseits des Atlantiks, schrie förmlich nach einer Berufung zu höchsten Weihen und Ämtern samt medialer Hofberichterstattung. Doch war der Weg zu Volkes Liebling steinig und weit, weitere Kompetenzen schienen erforderlich !
Im nächsten Teil der Saga (Guttenberg [3] – Schön gefärbt und hoch gestapelt) wird von Geld & Politik die Rede sein, sie handelt vom Studium, von Zielsetzung und Blitzkarriere , KT ’startet fett durch‘ …
// zum allerersten Teil, den ‚Bekenntnissen‘ > (Guttenberg [1] – Schön gefärbt und hoch gestapelt)
Hauptquellen:
– Stefan Frank: ‚Eingebettet und verwachsen‘, Artikel auf stefan-frank-texte.de
– Bernt Engelmann: ‚Wir Untertanen. Ein dt. [Anti-] Geschichtsbuch‘, Steidl Verlag [74/08], via Commulog
– Bernt Engelmann: ‚Das Reich zerfiel, die Reichen blieben‘, Verlag d. Nation, Berlin, 74 . Hgs. BRD: Hoffmann u. Campe Verlag; via RandZone Online [‚Das Einhorn d. dt. Politik‘, Artikel v. K. Wallmann sen. am 21.01.11]
– Cord Riechelmann: ‚Elite oder Avantgarde‘, Artikel auf: Text [Zeitschrift und Verlag] Online
– Michael Hartmann: ‚Gibt es eine Verschwörung der Eliten?‘, Interview zum Thema Eliten, in: ÖkologiePolitik 149 [02/2011, S. 14-16], via Günther Hartmann [Online]
– Sebastian Fischer: ‚Politik im blauen Blut‘, auf Cicero [Magazin für politische Kultur] Online [03/2009]
– Peter Mühlbauer: ‚Wenn Dynastien Demokratien schlucken‘, Telepolis-Artikel [heise-online, 03.01.08]
– Peter Mühlbauer: ‚Elitenkontinuität‘, Telepolis-Artikel [heise-online, 11.11.09]
– zu historisch und politisch relevanten Personen: Wikipedia.
– Vgl. zudem Direktlinks im Text.
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