web | Die Nerdcore-Story [1] – Von Spatzen und Kanonen
Eine Geschichte für Hollywood. Alles vorhanden, was einen spannenden Thriller ausmacht. Um was es geht? Möglicherweise um eine wegweisende Schlacht epischen Ausmaßes zwischen Gut und Böse, David gegen Goliath. Ein sympathischer Protagonist, der Blogger René , kein Robin Hood, unpolitisch, doch mit Attidude. Einer der seine Passion zur Profession gemacht hat und dabei gerne mal kommentiert, eben ausspricht, was er denkt, ihr wisst schon – eben bloggt. Er zieht den Zorn eines großen, mächtig expandierenden Internet-Unternehmens auf sich, das nicht unbedingt ausschließlich dafür bekannt ist, bei plumpen Konfrontationen mit schlechter PR humortherapeutisches Geschick an den Tag zu legen – im Gegenteil. Achja, eine Achillesferse hat unser Held natürlich schon. Er tendiert zur temporären Ausblendung bedrohlich aufziehender Hiobswolken, kurz – er ist ein naiver Vogel, und fürchtet sich nicht vor Kanonen (nur manchmal und wenn, dann nur ein bisschen).
Die Dramaturgie jedenfalls lässt nichts zu wünschen übrig. Unter Umständen ist dies ein Präzedenzfall! In jedwedem geht es wohl doch mal wieder um Freiheit, um Gerechtigkeit, vielleicht um die Zukunft der freien Meinungsäußerung einer sich organisierenden Gegenöffentlichkeit, nicht nur mit politischem Gehör, sondern Stimme. In jedwedem Fall ein immersiv-subversiver Plot, der Ausgang ungewiss …
Hard Bloggin‘ Nerdist.
Wer hat nicht schon mal davon geträumt, seine Neugier zu Geld zu machen? Surfst den ganzen Tag im Internet, stößt auf ‚weirden Freakscheiß‘ und willst ihn Freunden nicht vorenthalten. Obwohl du’s nicht vor hattest, bekommst du Feedback en masse, du wirst zum Verstärker, der wahr- und teilnimmt, nicht unbedingt Trends folgt, subjektiv filtert. Durchaus Teil der Blogosphäre, Kulturmultiplikator und Spin Doktor. Die Blogcharts stürmend lieben dich die Leute für deinen shit.
Für René Walton, 36, ja einer D E R berüchtigten Waltons, seines Zeichens Web-/Grafikdesigner, primär aber eine Art stilsicherer Nerd, wissbegieriger Streiter für Abseitiges, wurde solch ein Traum Wirklichkeit. Dabei machte er einfach das, worauf er am meisten Bock hatte – und macht dies nach wie vor. Am Tag mehrere Hundert Webseiten am Tag durchforsten und veröffentlichen, was ihn sowieso interessiert. Auf seinem Link-Blog nerdcore , den er seit 2005 betreibt und kaum unkommentiert lässt, geht es – je nach Nachrichtenlage und Tagesform – um Netz- und Popkultur, um Underground und Wissenschaft, um Mashups, Video- und Filmkunst, um Games und Retrokram, um Steampunk, Roboter, Raumschiffe, Zombies, Star Wars und um so einiges mehr. Ein buntes Potpourri aus schrägen und faszinierenden Kuriositäten. Seit ungefähr drei Jahren läuft die Seite so gut, dass Waltons richtiger Job sehr in den Hintergrund getreten ist. 2009 mit dem silbernen Lead Award in der Kategorie „Bestes Blog“ ausgezeichnet, befindet sich die stetig gewachsene Plattform mit inzwischen knapp 5.000 Twitter-Followern 2010 auf Platz 2 der deutschen Blogcharts und kann sich auch europaweit unter den ersten 50 platzieren. Ca. 20.000 Seitenzugriffe pro Tag machen sie zur attraktiven Werbeplattform für ausgefallene Produkte. Der René kann von seinem Hobby leben, die Domain soll heute zwischen 50.000 und 80.000 Euro wert sein. Es wird kolporitert, dass das Geheimnis was mit konsequent authentischer User-Kommunikation zu tun hat, so wie in vielen Blogs üblich.
Eine sympathischer Held also, einer wie du und ich. Nicht reich geworden, mit Bodenhaftung. Einer der macht, auf was er Bock hat und damit sein Leben bestreitet. Einer mit dem man sich identifizieren kann, der zum Vorbild der Generation Internet taugt. Einer, der eine immer größere werdende Fangemeinde um sich schart, ohne dies so wirklich forciert zu haben. Nicht nur einer, der exemplarisch dazu einlädt, mal über die Chancen und Grenzen von Blogs in Zeiten von Facebook nachzudenken – und darüber, ob das Netz nicht vielleicht noch unzählige mehr Nischen bereithält– sondern auch einer, den man mag, weil er Autoritäten grundsätzlich skeptisch gegenüber steht und auch in Drucksituationen kein politisch korrektes Blatt vor den Mund nimmt, sondern so kauzig bleibt, wie er sowohl privat als auch öffentlich ist, wenn auch nicht immer streng konsequent, dann jedoch zumindest authentisch.
Radio-Interview mit René Walter bei D-Radio Wissen vom 10.10.10 >> Entdecker fremder Welten <<
Über den Blogger René Walter und seinen nerdcore-Blog auf Fudder vom 16.12.2009 >> Porträt <<
Nerdcore selbst ist momentan zu finden auf >> Crackjack <<
zum Antagonisten (Euroweb) und dem juristischen Konfikt >> Fortsetzung folgt <<
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